Sex als intimste Form der Kommunikation: In unserer Kultur ist dieser Aspekt wenig verankert. Maximale Erregung und Perfomance-Optimierung stehen meist im Vordergrund.
Als Paartherapeut bin ich immer froh, wenn Bücher erscheinen, die dem Umgang mit Sex in Beziehungen hilfreiche und orientierungsstiftende Aspekte hinzufügen.
Das aktuelle Buch von Christoph Joseph Ahlers („Vom Himmel auf Erden. Was Sexualität für uns bedeutet.“) gehört für mich in diese Kategorie. Ahlers ist Sexualwissenschaftler und Klinischer Sexualpsychologe. Seit zwanzig Jahren hat er an der Berliner Charité und in seiner eigenen Praxis für Paarberatung und Sexualtherapie hunderte Einzelpersonen und Paare untersucht, beraten und behandelt.
Seine Erkenntnis aus unzähligen Paartherapien ist, dass die Paare etwas ganz wesentliches erfahren: Unser Problem ist nicht die Häufigkeit oder die Art und Weise des Geschlechtsverkehrs. Es geht um uns. Und unserProblem ist, dass wir uns nicht mehr wirklich ansehen und dadurch wechselseitig unser Ansehen beieinander verloren haben. Das drückt sich aus in fehlendem Körperkontakt, ausbleibender Zärtlichkeit und Intimität sowie nicht stattfindendem Sex.
Über den Zusammenhang von Liebe, Sex und Beziehung machen sich die wenigsten Menschen bewusst Gedanken, sagt Ahlers. Sex ist „natürlich“, Sex ist „Trieb“ und im besten Fall „geil“. Sex ergibt sich „spontan“, von alleine, oder es passiert eben nicht. Und dann muss das repariert oder der Partner ersetzt werden.
Das Atemberaubende am Sex ist nicht die Erregung der Genitalien, betont Ahlers immer wieder, sondern es lassen sich dabei innig und intensiv psychosoziale Grundbedürfnisse stillen. Menschen möchten sich gewollt, gemeint und bestätigt fühlen. Im Sex erfährt diese Sehnsucht eine überzeugende körperliche und seelische Erfüllung. Sex als intimste Form von Kommunikation.
Das hat damit zu tun, sagt er, dass Körperkommunikation in unserer stammesgeschichtlichen und individuellen Entwicklung die primäre Möglichkeit der Verständigung war. In beiden Entwicklungslinien gilt für den gesamten Zeitraum vor dem Spracherwerb, dass Bindung über Körperkontakt hergestellt, wahrgenommen, erlebt und stabilisiert wird. Erst später tritt die Sprache ergänzend hinzu. Über Körperkontakt reduzieren wir Aufregung, Anspannung und Angst, und wir befördern Beruhigung, Entspannung und Wohlgefühl. Das sei die tiefere Bedeutung von Sexualität.